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Keine Zeit für DT64 PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Heiko Hilker   
Donnerstag, 15. Oktober 2009 um 21:09

Am 19. November 1988 wird in der DDR das Magazin Sputnik verboten, eine Art sowjetisches Reader's Digest, das hochspannende Artikel im Geist von Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Politik verbreitet. An diesem Samstagnachmittag beginnt Moderatorin Silke Hasselmann ihre Sendung bei Jugendradio DT 64 mit dem lakonischen Satz: "Ein Sputnik ist heute abgestürzt." Anschließend erklingt "Aufruhr in den Augen" von der Berliner Band Pankow. Ein Skandal, der die höchste ideologische Warnstufe im gesamten DDR-Rundfunk auslöst. Hasselmann bekommt Mikrofonverbot, wird strafversetzt. Dieser kleine, mehr unartig als rebellisch gemeinte Satz fällt uneinholbar ins Rundfunk-Getriebe, provoziert Abwehr und Ermutigung. Das Feature spürt der schleichenden Erosion im politisch straff geführten Jugendsender nach, die mit dem Putsch gegen die Chefredaktion im November 1989 ihren ersten Höhepunkt fand."Ein Sputnik ist heute abgestürzt" - Vorwendezeit bei Jugendradio DT 64, so hieß das Feature von Jürgen Balitzki und Marcus Heumann (Co-Produktion RBB/DLF), dass im Deutschlandradio am 8. September lief. Gestern wurde es noch einmal gespielt, im Zeughauskino. Im Rahmen einer Reihe zur DT64-Geschichte. Anschließend diskutierten Marion Brasch und Friedrich Küppersbusch über den Journalismus in den Jahren 1988 und 1989. Im Publikum anscheinend viele DT64-Macher, in die Jahre gekommen.

 

Hatte DT64 denn größere Freiheiten als andere DDR-Sender? Oder waren diese Freiheiten nur staatlich verordnet? Schon Anfang der 80er Jahre stellte die DDR-Führung fest, dass sie immer weniger die Jugend erreicht, insbesondere mit den staatlichen Medien. Und so überlegte man, wie man dies ändern könne. Das Zentralinstitut für Jugendforschung wurde beauftragt, sich des Problems anzunehmen. Und so entwickelten die Wissenschaftler um Professor Friedrich ein Programmschema für ein Jugendradio, das ab 1987 umgesetzt wurde.

Hätte es eine Chance gegeben, DT64 zu erhalten? Na sicher. Schließlich hat man es ja auch geschafft, Teile des RIAS wie auch des Deutschlandfunks zu erhalten. Und so wurde das Deutschlandradio gegründet, als bundesweiter Sender. Neben den zwei Wellen hätte man auch noch ein Jugendprogramm etablieren können. Die Frequenzen hatte es ja schon. Allerdings waren Deutschlandfunk und RIAS selbst auf die DT64-Frequenzen scharf.

Warum hatte DT64 keine Chance, die Wende lange zu überleben?

Nun, vor allem die CDU wollte nicht, dass irgendetwas die „DDR-Grenzen“ konservieren, an die DDR erinnern könnte. Machtbewussten Politikern war klar, dass sie sich dieses neu entstandenen kritischen Potentials – nicht nur bei DT64 – im DDR-Rundfunk entledigen mussten. Weder wurden in Westdeutschland Intendanten von den Mitarbeitern gewählt (sondern durch die Politik bestimmt), noch war man solche eine respektlosen Umgang mit der politischen Klasse gewohnt. Ja, bestimmte Berichte, die man als Freiheit pries, würde man im Westen gar nicht zulassen. Wie konnte man diesem Journalismus die Spitze brechen: Dies ging am besten durch Aufteilung auf verschiedene Sender. Den westdeutschen ARD-Anstalten war klar, dass die bundesdeutschen föderalen Strukturen auf den Osten übertragen würden. Und so wie ihre Ministerpräsidenten versuchten sie, ihre Einflussgebiete zu vergrößern. Der NDR schluckte Mecklenburg-Vorpommern, der WDR stellte die Führungsriege im ORB und Teile des BR übernahmen den MDR.

Was hat sich geändert? Bleibt jetzt nur die Wahl, wie Friedrich Küppersbusch es darstellte, zwischen dem Anruf des Referenten des Ministerpräsidenten oder des Chefs der sendereigenen Werbeabteilung, wenn man kritisch berichtet? Warum schieben nicht all die engagierten Macher, die sich gestern faktisch zu einer Betriebsversammlung einfanden, ein neues DT64 an? Liegt dies nur daran, dass die Zeit fehlt, dass man sich eingerichtet hat, dass man nicht ewig kämpfen kann?

Oder ist einfach die Zeit eine andere? Konnte DT64 nur in dieser Zeit so funktionieren? Es war eine andere Zeit, es war ein anderes Radio.

Hunderttausende ginge auf die Straße und erfuhren, dass die Staatsmacht nicht die Macht im Staate festhalten kann. Wenn heute Hunderttausende auf die Straße gehen, werden sie auf die Wahlen vertröstet. Die Ungerechtigkeiten sind heute anders größer. Doch fast alle nehmen sie hin. Man stelle sich vor, man hätte erfahren, dass die DDR-Führung Dutzende Milliarden D-Mark an den Börsen verzockt hätte ...